Dass ein ungarischer Buchhändler nach dem LGBTQI-feindlichen Gesetz bestraft wurde, lässt für den EU-Abgeordneten "die Alarmglocken schrill läuten".
This interview originally appeared on the website of Der Standard.
Lukas Mandl (42) war schon als Schüler politisch aktiv. 2008 wurde er ÖAAB-Generalsekretär und Landtagsabgeordneter in Niederösterreich, im Jahr 2017 wechselte er ins EU-Parlament. Mandl engagiert sich in zahlreichen Vereinen und kirchennahen Initiativen.
Schon um die Jahrtausendwende, "als es sich rechnerisch noch gar nicht ausging", hat Lukas Mandl innerhalb der ÖVP für eine Koalition mit den Grünen Stimmung gemacht. 2003 und 2013 folgten Bücher dazu. Realisiert wurde Türkis-Grün aber erst, als Mandl nach fast einem Jahrzehnt im niederösterreichischen Landtag schon ins EU-Parlament nach Brüssel gewechselt war. Dort fühlt er sich aber pudelwohl, "wie ein Fisch im Teich". DER STANDARD hat Mandl zum Gespräch über geo- und europapolitische Herausforderungen getroffen.
STANDARD: Innerhalb der EU verschärfen sich die Konflikte zwischen West und Ost. Wie kritisch ist die Lage?
Mandl: Die historische Meisterleistung, Europa zu einigen – dass es "mit zwei Lungenflügeln atmet", wie Papst Johannes Paul II sagte – ist in Gefahr, verloren zu gehen. Das entsteht durch innere Probleme, aber auch von außen wird die Spaltung versucht.
STANDARD: Wo stehen wir?
Mandl: Der langjährige ÖVP-Chef Wolfgang Schüssel sprach einmal von Österreich als östlichstem Land des politischen Westens – und da stehen wir, in einer Brückenbauerrolle. Aber ich bin erschüttert darüber, wie schnell der ungarische Regierungschef Viktor Orbán noch unverschämter geworden ist, nachdem er aus der Europäischen Volkspartei ausgezogen ist. Er gefällt sich in der Rolle des Enfant Terrible und präsentiert sich als Akteur gesellschaftspolitischer Fragestellungen, um Korruption vergessen zu machen.
STANDARD: Wie sehr erschüttert sie das ungarische Gesetz, das den Konsum von Literatur oder Filmen mit LGBTQI-Personen durch Kinder verhindern will?
Mandl: Das Extrembeispiel ist für mich die Bestrafung eines Buchhändlers für den Verkauf eines Buches mitten in Europa, wie zuletzt in Budapest. Nichts steht symbolisch so sehr für den zentralen europäischen Wert der Aufklärung und die abendländische Tradition wie das Buch. Jeder Buchhändler soll in Europa verflixt noch einmal Bücher verkaufen dürfen! Das muss die Alarmglocken schrill läuten lassen.
STANDARD: Sie engagieren sich ja in christlichen Vereinigungen, etwa im Catholic Legislaturs Network. Wenn man dessen Forderungen oder Standpunkte der römisch-katholischen Kirche heranzieht, ist man ja fast näher an den Gesetzen in Polen und Ungarn als jenen im Westen Europas?
Mandl: Ich trenne erstens scharf staatliche und kirchliche Ebene, das ist für beide Bereiche unglaublich wichtig. Zweitens verstehe ich von der christlichen Botschaft, dass Menschenwürde wichtig ist und der Mensch ein Geschöpf mit freiem Willen ist. Freiheit gehört zum Menschen als Bestandteil seines Mensch-Seins. Die politische Aufgabe ist daher, Menschenwürde und Freiheitsrechte zu verteidigen – und das muss man jetzt machen gegenüber staatlichen Instanzen in Polen, Ungarn, der Tschechischen Republik oder in Rumänien.
STANDARD: Also betreiben Orbán und die polnische PiS keine christliche Politik?
Mandl: Das christliche Menschenbild ist eine Inspiration für Menschenwürde und Freiheit. Es ist völlig klar, wo ich stehe, wenn es um solche Machenschaften wie in Polen oder Ungarn geht. Oder besser gesagt: Um Machenschaften der polnischen und ungarischen Regierung. Denn wir stehen auf der Seite der Polinnen und Polen und der Ungarinnen und Ungarn, weil ihre Regierungen offenbar nicht das sind, was man jedem EU-Bürger und jedem Menschen wünschen muss.
STANDARD: Rund um Belarus gab es Vorwürfe Richtung Wien, die Sanktionen wegen wirtschaftlicher Interessen – Stichwort Raiffeisen – verzögern zu wollen?
Mandl: Ich bin seit der ersten Minute für die belarussische Freiheitsbewegung aktiv, habe eine Patenschaft für einen politischen Gefangenen übernommen – und ich hoffe, ihn in Freiheit in einem freien Belarus zu treffen. Ich hätte gehofft, dass die Freiheit schneller kommt, aber wir müssen durchhalten. Ich bin immer ein offensiver Vertreter für Sanktionen gegen autoritäre Akteure, aber wir müssen darauf achten, keine Schüsse abzugeben, die nach hinten losgehen – und beispielsweise eigene Unternehmen und deren Arbeitsplätze gefährdet. Niemals dürfen wir auch die Bevölkerung treffen.
STANDARD: Wie sehr sollen Werte wie Rechtsstaatlichkeit die Außenpolitik dominieren, vor allem gegenüber realpolitischen Interessen?
Mandl: Die von der EU vertretenen Werte sind der Kern unserer Interessen. Es ist ein Kontrast, den man bewusst zeichnen kann, aber wertebasierte Außenpolitik ist in unserem Interesse. Ich halte es für eine Riesenchance, dass zum Beispiel die Impfstoffentwicklung den Wert der Wissenschaftlichkeit gezeigt hat.
STANDARD: Aber ist es nicht so, dass die EU ihre Werte gegenüber manchen Ländern stärker betont? Gegen China, das Minderheiten und Dissidenten verfolgt, sind selten so scharfe Worte wie gegenüber Russland zu hören?
Mandl: Es besteht die Gefahr, dass man in der EU mit China aufgrund dessen Größe sanfter umgeht als mit anderen. Davon halte ich gar nichts. Es gibt Teile der Welt, die stärker als früher die Konfrontation suchen. Wir dürfen uns aber nicht auf dieses Schlachtfeld führen lassen. Unser Kurs muss Kooperation bleiben. Europa darf aber nicht naiv sein und muss sich verteidigen. Ziel dieser Akteure ist immer die Spaltung, man will Bruchlinien vertiefen.
STANDARD: Welche Rolle spielt da der China-Mittel-Ost-Europa-Gipfel, also das sogenannte 16+1-Format, über das China Milliarden in Ost- und Mitteleuropa verteilt?
Mandl: Man sieht hier, wie mit kühlem Kopf eine gefährliche Strategie umgesetzt wird. Der litausche Präsident ist jetzt ausgestiegen, weil er meinte, man muss mit der ganzen EU sprechen. Es ist heroisch, nicht dieser Versuchung zu erliegen, sich kaufen zu lassen. Ich habe mehrfach deponiert, dass wir nur dann ein Investitionsabkommen mit China abschließen, wenn es kein 16+1-Format mehr geben wird.
STANDARD: Was heißt das für die Balkanpolitik? Liefert sich die EU einen Wettlauf mit China?
Mandl: Nicht nur mit China! Mit der Türkei, mit Russland, mit vielen Ländern. Diese Akteure versuchen unverschämt, am Westbalkan und dadurch in ganz Europa Einfluss zu nehmen. Aber mein Eindruck ist, dass die Bürgerinnen und Bürger am Westbalkan in beeindruckender Art und Weise resistent dagegen sind, weil sie sich als Europäer fühlen.
STANDARD: Wie sehr greift zum Beispiel Russland selbst ins EU-Parlament ein durch Einfluss auf die Rechtsaußen-Fraktionen?
Mandl: Es ist Sache jedes Abgeordneten, wie sehr er Standpunkte von Gesprächspartnern integriert. Ich selbst würde nie ein Gespräch verweigern, das ist auch meine Aufgabe – genau wie der Versuch, das Gegenüber zu verstehen. Aber ich würde deshalb nie einen Millimeter Abstrich machen von Werten wie Freiheitsrechten, Rechtsstaatlichkeit. Das würde ich auch jedem Kollegen empfehlen.
STANDARD: Ein Leben in Brüssel verändert die Perspektive von Politikern. Inwiefern ergeben sich da Differenzen mit der Bundesregierung und den heimischen ÖVP-Politikern?
Mandl: Die Abstimmung ist exzellent, die großen Linien sind klar und unter Sebastian Kurz klarer denn je. Durch die Perspektive verändern sich Schwerpunkte, aber nicht Standpunkte. Mein Motto ist vom ersten Tag an: Rot-Weiß-Rot in Europa.
STANDARD: Aber man hat schon das Gefühl, dass das EU-Parlament mit Anliegen voraus prescht und dann kommen die nationalen Minister im EU-Rat und bremsen?
Mandl: Das stimmt, wobei ich in den EU-außenpolitischen Dingen stets einer Position mit der Bundesregierung war. Aber ich kritisiere das Einstimmigkeitsprinzip scharf und halte es für das Versäumnis dieser Generation, wenn wir diese Schwäche in der Entscheidungsfindung bei der Außenpolitik nicht überwinden können.
(Fabian Schmid, 14.7.2021)